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Zeitzeuge Gilbert Furian spricht am HLG

Am 13. Februar sprach Gilbert Furian vor den 10. Jahrgangsstufen
Am 13. Februar sprach Gilbert Furian vor den 10. Jahrgangsstufen

Wir wissen heute gar nicht mehr, was Freiheit bedeutet, weil wir sie jeden Tag haben.

Mit diesen Worten verabschiedete sich Gilbert Furian von den Schülerinnen und Schülern des Hans-Leinberger-Gymnasiums und des Gymnasiums Ergolding am Ende seiner Vorträge. Den Fachschaften Sozialkunde und Geschichte beider Schulen, zudem unterstützt vom Förderverein des Hans-Leinberger-Gymnasiums, war es gelungen, ihn für eine Reise von Berlin nach Landshut zu gewinnen und den 10. Jahrgangsstufen von seinen Erfahrungen mit dem DDR-Regime als Zeitzeuge zu berichten. Gilbert Furian, der neben Führungen durch die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen auch Vorträge hält, wurde 1985 zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt, die er unter anderem im berüchtigten Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen absitzen musste. Der Grund für die Verhaftung des damals 40-jährigen lag darin, dass er „Punks“ in Ost-Berlin interviewt hatte und einige Exemplare seiner Aufzeichnungen an Freunde im Westen zum privaten Gebrauch über die Grenze schmuggeln ließ. Somit lag der Straftatbestand des "Anfertigens von Aufzeichnungen, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu schaden" vor, denn offiziell gab es in der DDR die Jugendbewegung der „Punks“ nicht. Ihnen Gehör zu schenken und ihnen ein Forum der freien Meinungsäußerung zu bieten, stand unter Strafe. Diese wurde von Gilbert Furian, wie er selbst in seinen Vorträgen zugab, unterschätzt, hatte er doch in seiner bisherigen Biografie lediglich die Erfahrung von Ermahnungen gemacht. Aufgewachsen in einem der evangelischen Kirche sehr nahe stehenden Elternhaus weigerte er sich der DDR-Jugendorganisation FDJ beizutreten, nahm eine kritische Haltung zum System ein und wurde deswegen nach der Schule nicht zum Studium zugelassen, sondern musste den Beruf des Verkehrskaufmanns erlernen. Stets blieb er regimekritisch, ohne aber Gedanken an eine Ausreise oder eine Flucht zu haben. Sein Motiv war der Wunsch nach Reform der DDR in Richtung Offenheit und Freiheit. Dieser war, wie er selbst offen zugab, sehr naiv. Über die Haftbedingungen in Hohenschönhausen berichtete Gilbert Furian freimütig und schilderte die entwürdigenden und auch menschenrechtsverachtenden Methoden, die er nur dadurch verarbeiten konnte, weil er sich selbst in eine Art „Standby-Modus“ schaltete, wie er diese Zeit beschreibt. Ein Jahr nach seinem Haftantritt wurde er von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft. Er entschied sich, in der DDR, wo er seine Heimat sah und verwurzelt war, zu bleiben. Bis zur Wende arbeitete er in der Domkantorei von Berlin, wo er sich sicher fühlte und niemals bespitzelt worden war. Auf die Frage, was ihn aus der Wendezeit in Erinnerung geblieben ist, muss Gilbert Furian nicht lange überlegen. Es sind die Verkaufsstände vor der Universität, an denen die Bücher angeboten wurden, die er in seiner Jugend gerne gelesen hätte, er aber nicht durfte, weil sie unter die staatliche Zensur fielen. Aus all den Einzelgeschichten schuf Gilbert Furian ein lebendiges Bild von denjenigen, die in der DDR den Preis einer Diktatur zahlen mussten. So nahm es auch nicht Wunder, dass sich im Anschluss jedes seiner Vorträge eine angeregte Diskussion zwischen den Schülerinnen und Schülern und Gilbert Furian entspann, die zum Teil noch weit über die dafür veranschlagten Schulstunden hinausgingen, wobei der Zeitzeuge nach einhelliger Meinung der Schülerschaft durch seine strukturierte, feinfühlige und intellektuelle Art überzeugen konnte. Am Ende eines jeden Vortrags entließ Gilbert Furian seine Zuhörer mit folgendem Schlusswort, in dem er auch auf aktuelle Entwicklungen Bezug nimmt:

„Nach der Entlassung aus dem Gefängnis bin ich natürlich wieder zu den Proben der Berliner Domkantorei gegangen – geprobt wurde die Johannespassion von Bach. Da gibt es einen Choral mit dem Text: Durch dein Gefängnis, Jesu Christ, muss uns die Freiheit kommen. Mittendrin bricht der Kantor ab und sagt: „Hören Sie sich eigentlich mal selber zu? Bei Ihnen klingt Freiheit so belanglos, als bedeutete sie die Möglichkeit, beim Frühstück zu wählen zwischen Rührei, Spiegelei oder gekochtem Ei. Freiheit ist aber etwas ganz Großartiges. Deshalb rufen Sie jetzt dreimal hintereinander ganz laut Freiheit!“ Und wenn dann 150 Sänger Freiheit rufen, dass man das bis draußen hört, dann kriegt man eine Gänsehaut, vor allem wenn man Freiheit nicht hat, und man weiß plötzlich, was sie bedeutet. Wir wissen heute gar nicht mehr, was Freiheit bedeutet, weil wir sie jeden Tag haben. Wir benutzen sie täglich – wie ein paar alte Schuhe, die schon ein bisschen unansehnlich geworden sind; aber sie passen genau, und wir können darin gut gehen. Und die dürfen wir uns nicht ausreden lassen, auch wenn (wie bei der Thüringen-Wahl) Leute kommen, die uns statt dessen eisenbeschlagene braune Heimatstiefel aufschwatzen wollen. Lassen Sie uns unsere vertrauten freiheitlichen Schuhe pflegen, putzen und – wo sie ein bisschen abgelaufen sind – erneuern. Etwas Besseres ist nicht zu haben.“

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